BGer-Verhaeltnismaessigkeit-von-Netzsperren-im-Geldspielgesetz

BGer: Netzsperren im Geldspielgesetz sind verhältnismässig


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Am 10. Juni 2018 stimmte das Schweizer Stimmvolk deutlich für die Annahme des neuen Geldspielgesetzes (BGS). Als Folge dessen existiert in der Schweiz seit dem 1. Juli 2019 erstmals die Möglichkeit zur staatlichen Internet-Zensur mithilfe von Netzsperren (vgl. MLL-News vom 12.4.2018 und MLL-News vom 9.12.2018). Drei ausländische Anbieter von Online-Geldspielen sind nun bis vor das Bundesgericht gezogen, um sich gegen die angeordneten DNS-Sperren zu wehren, jedoch ohne Erfolg. Das Bundesgericht wies die Rüge, die angeordneten Netzsperren würden einen schweren Eingriff in verfassungsmässige Rechte (insb. in die Wirtschaftsfreiheit) darstellen, ab und bestätigte die Verhältnismässigkeit der Massnahme. Es bekräftigte damit, dass ausländische Anbieter von Online-Geldspielen geeignete technische Massnahmen (z.B. «Geoblocking») zur Einschränkung des Zugangs in der Schweiz treffen müssen, um einer Netzsperre zu entgehen.

Ausgangslage: Beschwerden dreier Online-Geldspielanbieter

Am 8. Oktober 2019 veröffentlichte die interkantonale Lotterie- und Wettkommission (Comlot; seit dem 1. Januar 2021 interkantonalem Geldspielaufsicht, Gespa) im Bundesblatt eine Allgemeinverfügung betreffend die Einschränkung des Zugangs zu in der Schweiz nicht bewilligten Online-Gewinnspiel-Angeboten. Zeitgleich sperrte sie die Domains von Unternehmen, welche sich auf der Sperrliste befanden, darunter auch diejenigen der drei Beschwerdeführer. Diese beschritten in der Folge den Beschwerdeweg und gelangten schlussendlich bis ans Bundesgericht. Die Beschwerdeführer vertraten vor Bundesgericht jeweils den Standpunkt, die angeordneten Netzsperren verletzen Bundesrecht, insofern als diese einen schweren Eingriff in ihre Wirtschaftsfreiheit darstellen würden. Zudem machten die Beschwerdeführer geltend, die Anordnung der Netzsperren sei willkürlich und unverhältnismässig. Mit den Urteilen vom 18. Mai 2022 (2C_336/2021, 2C_337/2021 und 2C_338/2021) wies das Bundesgericht die entsprechenden Beschwerden ab, soweit es überhaupt darauf eingetreten ist.

Verhältnis zwischen Netzsperren und Wirtschaftsfreiheit

Das Bundesgericht stellt in seinen Entscheiden klar, dass der Gesetzgeber, indem er das Angebot von Online-Geldspielen auf in der Schweiz bewilligte (bzw. konzessionierte) und hier überwachte Veranstalterinnen und Spiele begrenzte, von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht habe. Die Gesetzgebungskompetenz in Art. 106 Abs. 1 BV umfasse die implizite Ermächtigung, vom Grundsatz der Wirtschaftsfreiheit abzuweichen und ein rechtliches oder faktisches Konzessionssystem schaffen zu können. Dieses rechtmässig geschaffene Konzessionssystem bleibt der Wirtschaftsfreiheit weitgehend entzogen, zumal kein Anspruch auf Erteilung einer Konzession bzw. Bewilligung besteht. Folglich können die Anbieter aus der Wirtschaftsfreiheit kein Recht zur Ausübung einer Aktivität ableiten, die ohne entsprechende Konzession bzw. Bewilligung verboten ist. Dasselbe resultiert auch aus der von den Beschwerdeführern angerufenen Rechtsprechung des EuGH bzw. des EFTA-Gerichtshof. Zugleich legt das Bundesgericht – entgegen der Auffassung der Beschwerdeführer – dar, dass die Rechtsprechung des EuGH bzw. des EFTA-Gerichtshof im Bereich von Geldspielen für die Schweiz grundsätzlich nicht massgeblich sei, da diese nicht Gegenstand der bilateralen Verträge bilden.

Verhältnismässigkeit der Netzsperren

Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit verlangt, dass eine Massnahme für das Erreichen des im öffentlichen oder privaten Interesse liegenden Ziels geeignet und erforderlich ist und sich für die Betroffenen in Anbetracht der Schwere der damit verbundenen Belastung als zumutbar erweist. Erforderlich ist demnach eine vernünftige Zweck-Mittel-Relation. Die Zugangssperre diene dem Schutz des von Gesetz- bzw. Verfassungsgeber vorgesehene Konzessions- und Bewilligungssystems und dem Erschweren von Umgehungsmöglichkeiten ausländischer Anbieter. Zudem sollen dadurch Spieler*innen in der Schweiz zu legalen Angeboten geleitet werden. Diese legalen Angebote bieten Garantien bezüglich des Schutzes vor Spielsucht und anderen spielbezogenen Gefahren (u.a. Geldwäscherei) ebenso wie eine sichere und transparente Spielführung (Verhinderung von Spielmanipulation). Zusätzlich fliesst so ein möglichst grosser Teil der durch Geldspiele generierten Erträge an die AHV oder wird für einen gemeinnützigen Zweck verwendet. Das Bundesgericht kommt daher zum Schluss, dass die Massnahme ein im öffentlichen Interesse liegendes Ziel verfolgt. Das Bundesgericht nennt zur Durchsetzung der Netzsperre drei unterschiedliche Möglichkeiten: i) die sog. «Domain-Name-System-Sperre» (DNS-Sperre), ii) die IP-Sperre und iii) die «Deep-Packet-Inspection». Letztere Methode ermöglicht es, den unverschlüsselten Internetverkehr zu überwachen und zu beschränken. Diese Methode stünde in der Schweiz jedoch in direktem Konflikt mit dem Fernmeldegeheimnis. In Bezug auf die Eignung der DNS-Sperre führte das Bundesgericht aus, dass, obwohl keine hundertprozentige Wirksamkeit gewährleistet werden kann und damit Umgehungsmöglichkeiten bestehen, die DNS-Sperrung gegenwärtig, nach aktuellem Stand der Technik, die einfachste und angemessenste Lösung für das Sperren nicht bewilligter Online-Geldspiel-Angebote bilde. Das Erschweren des Zugangs sei mit einem hinreichenden vorbeugenden Effekt verbunden und geeignet, den durchschnittlichen Spieler in Richtung legaler Angebote zu leiten. Das von den Beschwerdeführern beanstandete Risiko des sog. «Overblocking» ist gemäss Bundesgericht bei der Methode der DNS-Sperre geringer als bei der IP-Sperre. Im Falle eines «Overblocking» werden auch andere über die Domain laufende Dienste – bspw. der E-Mailverkehr – blockiert. Dieser Nachteil liesse sich aber durch zumutbare Massnahmen seitens der Online-Geldspiel-Anbieter umgehen (etwa durch einen E-Mail-Account bei einem Drittanbieter). Im Übrigen soll die Blockade weiterer Dienste vom Geldspielgesetz gedeckt sein, sofern diese mit dem Spielangebot in Zusammenhang stehen (E-Mails betreffend Kundenbetreuung, Abrechnungsverfahren, usw.). Im Verhältnis zu diesem Nachteil überwiegt gemäss Bundesgericht das öffentliche Interesse am Schutz vor exzessivem Spiel und anderen spielbezogenen Gefahren zusammen mit der Sicherstellung einer wirksam überwachten und transparenten Spielabwicklung. Das Bundesgericht bejahte damit sowohl eine vernünftige Zweck-Mittel-Relation wie auch die Erforderlichkeit, und damit die Verhältnismässigkeit, der Massnahme.

Einwand des ungenügenden Rechtsschutzes

Ferner betonte das Bundesgericht, es sei Geldspielanbietern zumutbar, sich über allfällige Veröffentlichungen im Bundesblatt bzw. den jeweiligen Websites der schweizerischen Aufsichtsbehörde zu informieren. Durch die doppelte richterliche Kontrolle (Interkantonales Geldspielgericht, Bundesgericht) mangle es ausserdem nicht an einem wirksamen Rechtsschutz.

Fazit und Anmerkungen

Mit der Abweisung der Beschwerden bekräftigte das Bundesgericht die Rechtmässigkeit von Zugangssperren auf Domain-Ebene gegen Anbieter von in der Schweiz nicht bewilligten Online-Geldspielen. Insbesondere bestätigt es damit die Verhältnismässigkeit der angeordneten Netzsperre. Um als ausländischer Anbieter eines Online-Geldspiels die Listung und damit die Sperrung der Domain zu verhindern, empfiehlt es sich daher, geeignete technische Massnahmen zur Verhinderung eines Zugriffs aus der Schweiz zu treffen (z.B mittels «Geoblocking» oder Verunmöglichung der Eröffnung eines «Gaming Accounts» durch Schweizer Spieler*innen). Im Zusammenhang mit der Qualifikation als Online-Geldspiel-Anbieter gilt es ausserdem zu beachten, dass der Begriff des «Geldspiels» vom Bundesgericht weit ausgelegt wird. Nach dem Geldspielgesetz fallen darunter alle Spiele, bei denen gegen Leistung eines geldwerten Einsatzes oder bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts ein Geldgewinn oder ein anderer geldwerter Vorteil in Aussicht steht. Die Leistung eines Einsatzes und die Gewinnmöglichkeit in Geld oder einem Geldsurrogat bilden somit die ausschlaggebenden kumulativen Voraussetzungen. Für die Beurteilung ist zudem unerheblich, ob das Spiel durch Geschick oder Zufall entschieden wird. Künftig dürfte sich die Frage von auf das BSG abgestützten Netzsperren auch häufiger in Bezug auf Online-Spiele aufdrängen, die sich durch den Erwerb von digitalen Gütern (u.a. sogenannte «Non-Fungible Token» (NFT’s)) kennzeichnen. Zu denken ist hier etwa an Fantasy-Manager-Spiele. Gemäss Bundesgericht schliesst der digitale Charakter eines Objekts denn auch nicht aus, dass es zum Gegenstand oder Bestandteil eines Geldspiels gemacht werden kann.

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